Lichtblick bei der Kostenübernahme der TES-Therapie

von Stefanie Jonasch (rbm)

Bereits mehrfach haben wir Sie in der Vergangenheit auf die TES-Therapie hingewiesen. Inzwischen sind die Studien zu dieser Behandlungsmethode abgeschlossen und behandlungsbegleitende Untersuchungen werden in verschiedenen Kliniken und Augenzentren in Deutschland angeboten.

Die TES-Therapie, die transkorneale Elektrostimulation, mit dem OkuStim System ist eine der ersten ambulanten Therapiemöglichkeiten für Retinitis Pigmentosa überhaupt, deren Wirksamkeit in klinischen Studien belegt wurde.

Forschungsergebnisse belegen, dass die Aktivierung mehrerer sogenannter neuroprotektiver Wachstumsfaktoren an der Netzhaut - mittels Elektrostimulation - einen zellerhaltenden Effekt auf die absterbenden Netzhautzellen haben kann. Somit kann auch die Auflösung betroffener Zellen verringert werden. Beides trägt zum Ziel bei, eine längere Funktion der noch vorhandenen Zellen zu ermöglichen.

Im Rahmen der TES-Therapie muss das OkuStim Gerät und im weiteren Therapieverlauf Elektroden angeschafft werden. Da dies mit erheblichen Kosten verbunden ist, dürfte es für viele Betroffene bei der Überlegung, ob diese Therapie für sie in Frage kommt, darauf ankommen, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Kostenübernahme durch die Gesetzlichen Krankenkassen möglich ist.

Die rbm Rechtsberatung gGmbH erläutert Ihnen im Folgenden unter welchen Voraussetzungen die Kosten für die TES-Therapie von den Gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden und stellt den aktuellen Stand der Rechtsprechung dar.

Anträge auf Kostenübernahme für die TES-Therapie werden bisher von den Gesetzlichen Krankenkassen im Regelfall mit der Begründung abgelehnt, dass diese Behandlungsmethode bisher nicht im Leistungskatalog der Krankenkassen enthalten ist und der Nutzen nicht nachgewiesen ist.

Zwar trifft es zu, dass die TES-Therapie bisher nicht im durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) geschaffenen Leistungskatalog enthalten ist. Neue Therapieformen, zu denen eine positive Empfehlung des G-BA noch nicht vorliegt, können allerdings im Ausnahmefall von den Gesetzlichen Krankenkassen finanziert werden.

Von den möglichen Ausnahmefällen greift hier § 2 Abs. 1a SGB V ein. Danach kann sich im Einzelfall bei lebensbedrohlichen Erkrankungen oder wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung eine Pflicht der Gesetzlichen Krankenkassen zur Finanzierung der Krankenbehandlung ergeben.

In § 2 Abs. 1a S. 1 SGB V heißt es:

“Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, können auch eine von Absatz 1 Satz 3 abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht.”

Viele Krankenkassen sehen die Voraussetzungen dieser Norm jedoch nicht erfüllt, da sie die bei einer Retinitis Pigmentosa drohende Erblindung nicht als wertungsgemäß vergleichbar mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung einschätzen.

Die Gesetzesbegründung fordert für eine wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung das Vorliegen einer notstandsähnlichen Situation. Dies kann der Fall sein, wenn nach den konkreten Umständen des Einzelfalls droht, dass sich der tödliche Krankheitsverlauf bzw. der nicht kompensierbare Verlust eines wichtigen Sinnesorganes innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums wahrscheinlich verwirklichen wird. Als vergleichbare Erkrankungen kommt dabei der akut drohende Verlust eines wichtigen Sinnesorgans in Betracht. Dies wurde durch das Bundessozialgericht für den Verlust des Augenlichts auch konkret bestätigt.

Problematisch ist in diesen Zusammenhang aber, dass der Verlust des Augenlichts sich innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums wahrscheinlich verwirklichen muss, also quasi unmittelbar bevorstehen muss. In welchem Stadium der Erkrankung Retinitis Pigmentosa also eine Leistungspflicht der Krankenkassen besteht ist aufgrund der unterschiedlichen Krankheitsverläufe schwer einzuschätzen und hängt stark vom Einzelfall ab.

Das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz hat mit Urteil vom 10.11.2017, Az.: L 5 KR 92/17 wie folgt ausgeführt:

... “Bei der Klägerin liegt entgegen der Auffassung der Beklagten eine wertungsgemäß vergleichbare Erkrankung im Sinne des § 2 Abs. 1a SGB V vor, da bei ihr unter Berücksichtigung der Feststellungen des Sachverständigen in seiner im Berufungsverfahren eingeholten ergänzenden Stellungnahme für die Durchführung der streitigen Therapie lediglich ein Zeitfenster von einigen Monaten bis zum Beginn der Therapie verbleibt. Entgegen der Beurteilung der Ärztin im MDK besteht insbesondere unter Berücksichtigung der konzentrischen Gesichtsfeldeinschränkung zwischen fünf und zehn Prozent trotz des festgestellten Visus von bestkorrigiert noch 0,5 beiderseits eine Verminderung des Sehvermögens der Klägerin an der Grenze zur Erblindung, sodass eine notstandsähnliche Situation gegeben ist. Dass eine drohende Erblindung eine im Sinne des § 2 Abs. 1a SGB V wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung darstellt, steht außer Zweifel. Für die Erkrankung der Klägerin ist eine ursächliche bzw. heilende Therapie nicht verfügbar, was auch die Beklagte nicht bestreitet.”

Zutreffend ist das Sozialgericht auch davon ausgegangen, dass die transkorneale Elektrostimulation eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bietet. Die für die Gewährung einer Alternativbehandlung nach § 2 Abs. 1a SGB V notwendige Voraussetzung der indiziengestützten, nicht ganz fernliegenden Aussicht auf Heilung oder wenigstens spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf (dazu im Einzelnen BSG 02.09.2014 - B 1 KR 4/13 R, juris Rn 16) darf weder (gänzlich) aufgelöst noch überspannt werden.” ...

Zusammenfassend ist also festzuhalten, dass es unter den oben genannten Voraussetzungen ein Anspruch auf Kostenübernahme für die TES-Therapie besteht. Es ist jedoch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung davon auszugehen, dass die Erkrankung schon so weit vorangeschritten sein muss, dass bereits eine erhebliche Einschränkung des Gesichtsfelds bei dem Betroffenen besteht.

Ein Antrag auf Kostenübernahme kann sich also durchaus lohnen!


Dieser Artikel erschien in der Zeitschrift “Retina aktuell” des PRO RETINA Deutschland e. V.

Angaben zur Autorin

Stefanie Jonasch
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