Mit der Verbandsklage zu mehr Barrierefreiheit

von Dr. Michael Richter (rbm)

Im Januar geht der DBSV mit einem dreijährigen Projekt im rechtlichen Bereich an den Start. Das Ziel: Die Möglichkeiten der Verbandsklage besser zu nutzen, um Barrierefreiheit durchzusetzen. Bisher bleiben Verstöße gegen die Regelungen zur Barrierefreiheit meist ungeahndet, weil das nötige Wissen um die Verbandsklage fehlt. Das soll sich ändern, indem die Vereine rechtlich beraten und gecoacht werden.

Spätestens seit der Ratifikation der UN-Behindertenrechtskonvention im Jahr 2009 ist die Inklusion eine Zielvorgabe für Deutschland. Damit ist die Gesellschaft aufgerufen, die Rahmenbedingungen für die Einbeziehung von Menschen mit Behinderung zu verbessern. Von zentraler Bedeutung hierfür ist die Herstellung von Barrierefreiheit im baulichen und digitalen Bereich. Die verschiedenen Aspekte von Barrierefreiheit sind im Bundesbehindertengleichstellungsgesetz (BGG) und in den Landesbehindertengleichstellungsgesetzen (LGG) geregelt und im Einzelnen in den Fachgesetzen, beispielsweise den Straßen- und Wegegesetzen oder Bauordnungen der Länder, fortgeschrieben. Bei der Umsetzung von Barrierefreiheit sind die einschlägigen DIN-Normen zu berücksichtigen.

Die Belange behinderter Menschen werden heute deutlich ernster genommen als noch Anfang dieses Jahrhunderts. So werden etwa bei der Planung und Umsetzung von öffentlichen Neu- und Umbauten zumeist Fachleute in eigener Sache oder die professionelle Expertise von Behindertenverbänden einbezogen. Trotzdem kommt es immer wieder vor, dass auf guten Rat nicht gehört, anderen Belangen der Vorrang gegeben oder - ohne Kenntnis der einschlägigen Regelwerke - Barrierefreiheit “irgendwie” umgesetzt wird, was im Ergebnis zu fragwürdigen oder sogar sicherheitsgefährdenden Ergebnissen führt. In diesen Fällen gibt es kaum eine Handhabe, die korrekte Umsetzung von Barrierefreiheit einzufordern. Oft besteht für den Einzelnen kein Klagerecht, weil eine unmittelbare Betroffenheit nicht gegeben ist. Oder die Klage ist wegen des hohen Kostenrisikos nicht zumutbar. Diesen Aspekt hatte der Gesetzgeber im Auge, als er in den Behindertengleichstellungsgesetzen ein so genanntes Verbandsklagerecht verankert hat. Das heißt, dass ein Verband, der sich satzungsgemäß für die Verbesserung der Teilhabe von Menschen mit Behinderung einsetzt, durch ein Gericht feststellen lassen kann, dass die einschlägigen Vorschriften zur Barrierefreiheit in einem konkreten Fall nicht oder nicht richtig berücksichtigt wurden.

Die Verbandsklage nach BGG oder den jeweiligen LGG ist ein sinnvolles Instrument, um Barrierefreiheit nachhaltig durchzusetzen, wurde in den vergangenen Jahren aber nur selten und wenn, dann meist erfolglos eingesetzt. Nach Einschätzung von Experten liegt dies vor allem daran, dass es schwierig ist, geeignete Fälle auszuwählen. Außerdem gibt es Wissenslücken bei der praktischen Umsetzung. Was kostet eine Verbandsklage? Wie lange dauert das Verfahren? Und was muss ein Verband im Vorfeld beachten? Fragen und Probleme, die in den 1980er und 1990er Jahren auch den wirksamen Einsatz des Verbandsklagerechts für Verbraucherschutzverbände verhinderten. Durch rechtliche Beratung und Coaching der Verbände konnte dieses Defizit jedoch überwunden werden, so dass die Verbandsklage zu einer “scharfen Waffe” bei der Durchsetzung von Verbraucherschutzinteressen geworden ist.

Hier setzt ein dreijähriges Projekt an, mit dem der DBSV im Januar 2017 an den Start geht. Gefördert von der Aktion Mensch, sollen kleine und mittlere Selbsthilfeverbände, die in der Regel über keine hauptamtliche Rechtsexpertise verfügen, zum Verbandsklagerecht beraten und gecoacht werden. Einschlägige Fälle werden gesammelt, priorisiert, gegebenenfalls vor Gericht gebracht und öffentlich dokumentiert. Erwähnenswert ist, dass der DBSV diese Leistung nicht nur Blinden- und Sehbehindertenvereinen, sondern auch Verbänden für Menschen mit anderen Behinderungen anbietet. Mit der Umsetzung ist im Wesentlichen die DBSV-Tochtergesellschaft “Rechte behinderter Menschen” (rbm) beauftragt, die durch die Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Behindertenverbänden ihrem Namen gerechter werden kann als bisher.

In einem ersten Schritt kommt es darauf an, Fälle auszuwählen, die ein positives Urteil erwarten lassen und geeignet erscheinen, die Verbandsklage zur Durchsetzung von Barrierefreiheit in der Rechtsprechung zu etablieren. Hierfür kommen Fälle in Frage, bei denen nicht nur die Zugänglichkeit oder Nutzbarkeit von öffentlichen Einrichtungen eingeschränkt oder verhindert, sondern darüber hinaus die Sicherheit von Menschen mit Behinderung bedroht wird. Ein Beispiel sind falsch verlegte Bodenindikatoren, die zu einer Gefährdung führen können. Sollten Ihnen solche eindeutigen Fälle bekannt sein, nehmen Sie bitte Kontakt mit der rbm auf über die eigens eingerichtete Mailadresse barrierefreiheit@rbm-rechtsberatung.de oder per Telefon zu den bekannten Sprechzeiten (siehe Kontakt). Wenn Ihr Fall geeignet ist, wird die rbm gemeinsam mit dem zuständigen Behindertenverband, in der Regel mit Ihrem Landesverein, bei Verstößen gegen ein Bundesgesetz auch mit dem DBSV, eine Klage vorbereiten. So können Sie mit Ihrer Meldung dazu beitragen, die Trendwende bei Verbandsklagen nach dem BGG oder dem jeweiligen LGG herbeizuführen und ein wenig “Rechtsprechungsgeschichte” zu schreiben.


Dieser Artikel erschien in der Zeitschrift “Gegenwart” Ausgabe 01-02/2017 des DBSV (Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband e. V.).

Angaben zum Autor

Dr. Michael Richter
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