Schattenvereinbarung ins Licht gerückt

von Dr. Michael Richter (rbm)

Die Weiterleitung eines Antrags an einen anderen Kostenträger darf nicht zulasten des Antragstellers gehen. Dies beschied das Verwaltungsgericht Trier Anfang dieses Jahres. Konkret geht es um den Anspruch von behinderten Erwerbstätigen auf eine neue Hilfsmittelausstattung am Arbeitsplatz, wenn die vorhandene Ausstattung wegen technischer Entwicklungen nicht mehr ausreichend funktioniert. Die Rechtsberatungsgesellschaft “Rechte behinderter Menschen” (rbm) erläutert das Urteil.

Erwerbstätige Menschen, die am Arbeitsplatz nicht nur auf den PC, sondern auch auf eine individuell angepasste Hilfsmittelausstattung angewiesen sind, kennen das Problem: Die Software wird erneuert und schon kommt das System ins Straucheln. Durch die Umstellung des häufig verwendeten Betriebssystems “Windows XP” auf eine modernere Version wurden Neuausstattungen mit Hilfsmitteln in den vergangenen Jahren gerade bei blinden oder sehbehinderten Menschen notwendig. Bisher wurden die Kosten meist von den Arbeitsagenturen oder der gesetzlichen Rentenversicherung übernommen. Als sich die Anträge aber häuften, wurde es schwierig mit der Bewilligung, so dass es vermehrt zu Anfragen bei der rbm kam. Die Ratsuchenden waren entweder an den Arbeitgeber verwiesen worden, der angeblich verpflichtet sei, die Arbeitsplätze behinderungsgerecht zu gestalten, oder die Anträge waren gemäß § 14 SGB IX zuständigkeitshalber an die Integrationsämter weitergeleitet worden.

Im Zuge der ersten Vertretungen dieser Fälle stellte sich heraus, dass das geänderte Vorgehen insbesondere einer zwischen der gesetzlichen Rentenversicherung und den Integrationsämtern abgeschlossenen “Verwaltungsvereinbarung” geschuldet war. Diese besagt sinngemäß, dass der Arbeitgeber eines schwerbehinderten Menschen für die Folgen technischer Umstellungen verantwortlich sei, was die behinderungsgerechte Umgestaltung des Arbeitsplatzes einschließt. Demnach müsse nicht der Träger der beruflichen Rehabilitation (also zumeist die gesetzliche Rentenversicherung) für die Kosten aufkommen, der Arbeitgeber könne aber einen Zuschuss beim Integrationsamt beantragen.

Durch die rbm konnte eine Vielzahl der Fälle im Sinne der schwerbehinderten Arbeitnehmer und ihrer Arbeitgeber abgeschlossen werden. Jedoch blieb ein Urteil, das für eine grundsätzliche Klärung des Sachverhalts gesorgt hätte, zunächst aus, weil die gesetzliche Rentenversicherung den Anspruch behinderter Menschen auf Hilfsmittelausstattung im Einzelfall nach langem Kampf immer anerkannte. Eine gerichtliche Entscheidung gab es nur in Form eines Beschlusses in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren des Sozialgerichts Regensburg (Beschluss vom 20.12.2013; Az.: S 10 R 4302/ 13 ER). Dieser reichte aber nicht aus, um die Rechtsfrage endgültig zu klären und die alle Beteiligten belastende Verwaltungspraxis zu ändern.

Anfang dieses Jahres erging schließlich ein Urteil, das nun hoffen lässt, dass Arbeitgeber durch die Beschäftigung schwerbehinderter Menschen nicht mehr mit zusätzlichen Kosten belastet werden und die Betroffenen nicht teilweise jahrelang auf die dringend benötigte Hilfsmittelausstattung am Arbeitsplatz warten müssen. Der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Trier (Urteil vom 28.1.2016; Az.: 2 K 2350/15.TR) lagen drei gleichgelagerte Anträge blinder Arbeitnehmer eines großen Arbeitgebers bei ihrer gesetzlichen Rentenversicherung zugrunde. Zwei Anträge wurden mit der beschriebenen Begründung gemäß § 14 SGB IX an das örtlich zuständige Integrationsamt fristgerecht weitergeleitet, bei einem Antrag wurde dies versäumt. Dem bei der gesetzlichen Rentenversicherung verbliebenen Antrag wurde nach einem Widerspruchsverfahren vollständig stattgegeben, in den beiden anderen Fällen dagegen bot das Integrationsamt dem Arbeitgeber einen Zuschuss von 70 Prozent der Kosten an. Da es sich hier um eine offensichtliche Ungleichbehandlung handelte, reichten die betroffenen Arbeitnehmer Klage gegen das Integrationsamt ein. Das Verwaltungsgericht Trier führt in seinem Urteil aus:

“Es ist rechtlich ausgeschlossen, dass durch die verfahrenstechnisch fehlerhafte Weitergabe eines Antrags für den behinderten Menschen eine Anspruchsverkürzung eintritt. Die durch § 14 SGB IX geregelte Zuständigkeit erstreckt sich auch auf das Außenverhältnis, also das Verhältnis zwischen dem Bürger und der Behörde (BSG, Urteil vom 24. Januar 2013 - B 3 KR 5/12 R; juris, VG Frankfurt a.a.O.), das bedeutet jedoch nicht, dass hierdurch Anspruchsgrundlagen, die im Verhältnis zwischen dem Bürger und dem (erst)angerufenen Rehabilitationsträger in Betracht kommen, hier etwa §§ 9 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2, 10 Abs. 1 Nr. 2c i.V.m. § 16 SGB VI und § 33 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 und Abs. 8 Nr. 5 SGB IX, nunmehr wegen der Weiterleitung überhaupt nicht mehr geprüft werden. Die Klärung der Zuständigkeit darf nicht zulasten der jeweiligen Antragsteller gehen. Diese sind in der Regel auf eine schnelle Leistungserbringung angewiesen (vgl. u. a. BSG, Urteil vom 24. Juni 2008 - B 11b AS 19/07 R). Nach den oben gemachten Ausführungen ist es dem Beklagten unbenommen, letztlich Rückgriff beim ursprünglich angerufenen Rehabilitationsträger zu nehmen.

Bei seiner neuen Ermessensbetätigung wird der Beklagte auch zu berücksichtigen haben, dass in der Vergangenheit vom zuständigen Rehabilitationsträger vergleichbare Leistungen umfassend übernommen wurden. Ferner wurden aktuell in einem exakt gleich gelagerten Fall einem anderen Arbeitnehmer die Leistungen erneut bewilligt. Insofern ist das Ermessen des Beklagten erheblich reduziert. Dabei ist ferner auch zu berücksichtigen, dass nach der Rechtsprechung der Sozialgerichte die Erklärung des Arbeitgebers, Arbeitsplätze mit den notwendigen blindentechnischen Hilfsmitteln auszustatten, einer Leistungserbringung nicht entgegensteht. Ansprüche gegen Rehabilitationsträger auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form technischer Arbeitshilfen haben Vorrang vor den Ansprüchen gegenüber Arbeitgebern nach Teil 2 des SGB IX auf eine behindertengerechte Arbeitsplatzausstattung (SG Dresden, Urteil vom 28. Februar 2011 - S 24 KN 625/09; juris m.w.N.).”

Nach diesen eindeutigen Worten besteht die begründete Hoffnung, dass die fragwürdige Verwaltungsabsprache keine Anwendung mehr findet und Arbeitgeber nicht länger mit Kosten für notwendige Hilfsmittelausstattungen belastet werden. Darüber hinaus dürften langwierige Rechtsstreitigkeiten vermieden werden, so dass die behinderten Arbeitnehmer rascher versorgt werden können. Tatsächlich war es höchste Zeit für eine gerichtliche Entscheidung, denn es hatte sich unter Arbeitgebern bereits herumgesprochen, dass bei der Modernisierung der Betriebsinfrastruktur und der gleichzeitigen Beschäftigung schwerbehinderter Menschen erhebliche Mehrkosten drohen und die dringend benötigte Hilfsmittelausstattung teilweise jahrelang nicht erfolgt.


Dieser Artikel erschien in der Zeitschrift “Gegenwart” Ausgabe 04/2016 des DBSV (Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband e. V.).

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Dr. Michael Richter
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