Wissenswertes rund ums Blindengeld

von Dr. Michael Richter (rbm)

Das Blinden- und Sehbehindertengeld ist der wichtigste Nachteilsausgleich für Menschen mit Seheinschränkung. Aber Vorsicht: Es gibt viele Feinheiten und Fallstricke, Gesetzeslücken und Grauzonen. Die Rechtsberatungsgesellschaft “Rechte behinderter Menschen” (rbm) gibt einen Überblick über Grundlegendes und klärt auf, was zum Beispiel beim Wohnortwechsel zu beachten ist und wann der Nachteilsausgleich als Einkommen zählen kann.

Eine Voraussetzung, unterschiedliche Regelungen

Vielfältig sind die Bezeichnungen für den Nachteilsausgleich für blinde und sehbehinderte Menschen - neben dem Blinden- bzw. Sehbehindertengeld ist zum Teil von Blindenhilfe oder Blindenpflege die Rede. Auch die Höhe und die Regelungen zur Gewährung der Leistung fallen von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich aus, zum Beispiel bei der Anrechnung von Pflegeleistungen, bei Kürzungsmöglichkeiten der Leistungen stationär untergebrachter Bezieher und zum Einfluss des Alters auf die Leistungshöhe. Da wohl niemand die 16 einschlägigen Landesgesetze in allen Einzelheiten auswendig kennt, ist bei Fragen der Blick in das Landesgesetz notwendig.

Eine Gemeinsamkeit gibt es allerdings: Die Voraussetzung für die Gewährung der Leistung ist eine vorliegende Blindheit oder hochgradige Sehbehinderung. Der Schwerbehindertenausweis hat dabei eine so genannte “statusrechtliche Bindungswirkung”. Das heißt, wenn das Merkzeichen BL im Ausweis eingetragen ist, ist der Träger im gesetzlichen Sinne als blind anzusehen. Wenn jemand allein aufgrund einer Sehbehinderung einen Grad der Behinderung von 100 hat, gilt er als hochgradig sehbehindert. Die leistungsgewährenden Stellen sind an diese Einträge gebunden. Somit ist es zwar möglich, ohne einen Vermerk im Schwerbehindertenausweis Leistungen zu erhalten, sofern die Blindheit oder Sehbehinderung mit medizinischen Befunden nachgewiesen wird. Umgekehrt dürfen Behörden den gültigen Schwerbehindertenausweis und dessen “Statusaussagen” aber nicht ignorieren (Bundessozialgericht, 8.3.1995 - 9 RV 9/94).

Vorsicht beim Wohnortwechsel

Leistungsempfänger müssen Veränderungen, die ihren Nachteilsausgleich betreffen können, zeitnah melden. Zwingend anzugeben sind zum Beispiel der Bezug von Pflegeleistungen nach Sozialgesetzbuch (SGB) XI, der Wechsel in eine oder aus einer stationären Einrichtung sowie Verbesserungen des Sehvermögens. Böse Überraschungen wie Rückzahlungsforderungen können auf diese Weise vermieden werden.

Unerwartete Folgen kann auch der Umzug in ein anderes Bundesland mit sich bringen. So kann es passieren, dass beim Umzug eines blinden Menschen aus Bayern in eine Einrichtung in Hessen der Anspruch auf einen Nachteilsausgleich verloren geht. Der Grund ist ein Abstimmungsproblem zwischen den Landesgesetzen: Während die Leistung in Bayern an den tatsächlichen Aufenthalt im Land gebunden ist, wird in Hessen auf eine sozialrechtliche Regelung bezüglich der Unterbringung in stationären Einrichtungen verwiesen. Diese besagt, dass das “Herkunftsland” für die Leistung zuständig bleibt. Ein Widerspruch, der zulasten des Leistungsempfängers geht. Eine Überprüfung der Rechtslage ist daher im Vorfeld ratsam und in der Regel gibt es Möglichkeiten, solche Probleme zu umgehen. So hätte der Betroffene im genannten Fall vor dem Wechsel in die Einrichtung zum Beispiel eine kurze Zeit bei seinen Kindern in Hessen wohnen müssen.

Anrechnung von Blinden- und Sehbehindertengeld

In den meisten Zusammenhängen gilt das Blinden- und Sehbehindertengeld nicht als Einkommen. Insbesondere handelt es sich bei dieser auf den Ausgleich der behinderungsbedingten Nachteile gerichteten Leistung um keine Einnahme und sie ist somit nicht nach den Regelungen des Einkommenssteuergesetzes zu berücksichtigen.

Entgegen der Forderungen der Blinden- und Sehbehindertenselbsthilfe gibt es aber Ausnahmen. Angerechnet werden kann das Blinden- oder Sehbehindertengeld zum Beispiel bei der Berechnung von Unterhaltsansprüchen im Scheidungsfall gemäß § 1610a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Es wird zwar zunächst davon ausgegangen, dass die Leistung zur Deckung des aus der Behinderung erwachsenden Bedarfs verwendet wird. Diese Vermutung kann jedoch vom Unterhaltsberechtigten widerlegt werden. Sofern der blinde oder sehbehinderte Mensch keinen Beweis der behinderungsgerechten Verwendung erbringt, wird die Leistung als Einkommen behandelt und wirkt unterhaltserhöhend.

Unrechtmäßig ist die Berücksichtigung von Blinden- und Sehbehindertengeld bei der Prozesskostenhilfe. Diese stellt Menschen mit geringem Einkommen und Vermögen die notwendigen finanziellen Mittel für einen Rechtsstreit zur Verfügung. Die Anrechnung von Blinden- und Sehbehindertengeld bei der Ermittlung des Einkommens führt nicht selten zur Versagung der Prozesskostenhilfe.

Offen ist, ob das Blinden- und Sehbehindertengeld bei der Berechnung des Beitrags zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung zu berücksichtigen ist (vgl. “Gegenwart” 1/2013). Ein Verfahren zwischen dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales und dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen erbrachte lediglich eine Freistellung von Leistungen im Rahmen der Blindenhilfe. Ob diese Freistellung auch für das Blinden- und Sehbehindertengeld gilt, wird derzeit in zahlreichen Verfahren geklärt. Es besteht Grund zum Optimismus, da die drei ersten Verfahren von den zuständigen Sozialgerichten positiv ausgeurteilt wurden. Eine endgültige Klärung wird aber voraussichtlich erst in einigen Jahren vor dem Bundessozialgericht erfolgen.

Grundsätzlich ist es zu empfehlen, den Bezug von Blinden- und Sehbehindertengeld anzugeben und eine möglicherweise ungerechtfertigte Berücksichtigung überprüfen zu lassen. Das gilt übrigens auch bei der Geltendmachung von behinderungsbedingten Bedarfen im Rahmen der Eingliederungshilfe. Diese werden häufig mit dem Verweis auf das vorrangig einzusetzende Blinden- und Sehbehindertengeld abgelehnt, was jedoch in der Regel nicht zulässig ist. So hielt es das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen für unzulässig, einen Studierenden im Rahmen der Gewährung einer Vorleseassistenz auf den teilweisen Einsatz des Landesblindengeldes zu verweisen (LSG Niedersachsen-Bremen, 27.1.2011 - L 8 SO 171/08).


Dieser Artikel erschien in der Zeitschrift “Gegenwart” Ausgabe 04/2015 des DBSV (Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband e. V.).

Angaben zum Autor

Dr. Michael Richter
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