Kein Zutritt – Diskriminierung im Alltag

von Dr. Michael Richter (rbm)

Sei es der verwehrte Zutritt zu einem Schwimmbad oder die verbotene Achterbahnfahrt im Freizeitpark – blinden und sehbehinderten Menschen passiert es häufig, dass ihnen die Nutzung von Freizeitangeboten nicht gestattet wird. Die Rechtsberatungsgesellschaft “Rechte behinderter Menschen” (rbm) erklärt, inwieweit ein Ausschluss zulässig ist und wer bei Unfällen haftet.

Anders als bei Diskriminierungen, die sich zum Beispiel gegen die Herkunft oder die sexuelle Orientierung eines Menschen richten, werden behinderte Menschen meist nicht aus einer inneren Ablehnung heraus diskriminiert, sondern aus einer übertriebenen Fürsorglichkeit. Aus sicherheits- oder versicherungsrelevanten Gründen folgen einige Betreiber von Freizeitangeboten dem Rat von vermeintlichen Experten, die die Nutzung bestimmter Angebote durch behinderte Menschen als gefährlich einstufen.

Rechtlich haben die Zutrittsverbote einen Anknüpfungspunkt im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) § 20 Abs. 1 Nr.1, in dem es heißt:

“Eine Verletzung des Benachteiligungsverbots ist nicht gegeben, wenn für eine unterschiedliche Behandlung wegen [...] einer Behinderung [...] ein sachlicher Grund vorliegt. Das kann insbesondere der Fall sein, wenn die unterschiedliche Behandlung der Vermeidung von Gefahren, der Verhütung von Schäden oder anderen Zwecken vergleichbarer Art dient [...].”

Diese Regelung ist jedoch kein Freifahrtschein für generelle Nutzungsverbote und willkürliche Auflagen. Vor allem nicht, wenn sie auf Unkenntnis oder Fehleinschätzung der Fähigkeiten behinderter Menschen beruhen. So ist die Evakuierung von blinden und sehbehinderten Menschen aus einer Achterbahn wohl kaum schwieriger als die Rettung älterer Menschen, nur ist sie im Notfallkonzept meist nicht berücksichtigt worden. Gleiches gilt für die Benutzung von Feuertreppen.

Ein schmaler Grat

Zwischen Diskriminierung und gebotenem Eingreifen liegt oft nur ein schmaler Grat. Keinesfalls im Sinne des AGG ist es, jede theoretische Gefahr heranzuziehen, um sich gar nicht erst mit der Teilhabe behinderter Menschen und der barrierefreien Gestaltung der Angebote befassen zu müssen. Auch wenn die Betreiber mit dem Verbot tatsächlich beabsichtigen, die Sicherheit behinderter Menschen und den gefahrlosen allgemeinen Betrieb zu gewährleisten, ist eine Sonderbehandlung nicht automatisch rechtens. Das gilt auch, wenn der Zutritt nur mit einer Begleitperson gestattet wird. Denn ausschließlich behinderungsbedingte Risiken zu erfassen, kann zu einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung führen. So kann eine Erkrankung, eine Medikamenteneinnahme oder eine Vorbestrafung wegen fahrlässigen Handelns eine wesentlich größere Rolle für die Eigen- und Fremdgefährdung spielen. Der Einwand, dass auch Betrunkenen, Kindern oder schwer geistig behinderten Menschen der Zutritt verwehrt wird, verdeutlicht den diskriminierenden Charakter des Verbots. Da diese Personen sich selbst sowie Risiken nur eingeschränkt oder gar nicht einschätzen können, ist der Vergleich mit einem blinden oder sehbehinderten Menschen rechtlich falsch.

Von Fall zu Fall

Rechtfertigen lässt sich ein Zutrittsverbot nur, wenn die Rechtslage und die Auslegung durch die Gerichte im Ernstfall Schadensersatzansprüche gegenüber den Betreibern zulassen. Die folgenden Beispielkonstellationen eines Unfalls unter Beteiligung eines Menschen mit Seheinschränkung veranschaulichen die Situation:

Beispiel 1

Der blinde oder sehbehinderte Mensch verletzt sich im allgemeinen Angebotsbetrieb. Zwei Ursachen sind denkbar:

  1. Er verletzt sich, weil er seine Fähigkeiten falsch eingeschätzt hat. In einem Schwimmbad rutscht er zum Beispiel auf abgestellten Badelatschen aus oder stößt im Wasser an die Beckenkante. In diesem Fall ist das erwartbare Risiko der Benutzung eines Schwimmbades durch einen Menschen mit Seheinschränkung eingetreten. Der Badegast hat das Risiko billigend in Kauf genommen und fahrlässig gehandelt. Deshalb muss er selbst oder seine Haftpflicht- oder Krankenversicherung für den Schaden aufkommen. Der Vorwurf, dass der Bäderbetreiber den blinden oder sehbehinderten Badegast nicht vom Schwimmbadbesuch ausgeschlossen hat, wird vor Gericht niemals zum Tragen kommen.
  2. Der blinde oder sehbehinderte Badegast verletzt sich wegen einer Unzulänglichkeit des Angebots und rutscht zum Beispiel auf einer schadhaften Verkachelung aus. In diesem Fall gilt der reguläre Verschuldensmaßstab für den Betreiber. Den blinden oder sehbehinderten Badegast wird im Streitfall aber jeder Richter fragen, ob er die Risiken sorgfältig abgewogen hat, bevor er sich zum Besuch des Schwimmbads ohne Begleitung entschieden hat. Denn diese hätte ihn vor dem Mangel warnen können. Ein Schadensersatzanspruch wird einem Gast mit Seheinschränkung daher in der Regel nur eingeschränkt gewährt werden.

Beispiel 2

Der blinde oder sehbehinderte Mensch verletzt einen anderen Gast. In diesem Fall ist die Schuldfrage zwischen den Beteiligten zu klären. Die Chancen, dass der nicht behinderte Gast seinen Anspruch gegenüber dem seheingeschränkten Verursacher durchsetzen kann, stehen sehr gut. Denn die Richter werden davon ausgehen, dass ein blinder oder sehbehinderter Mensch ohne Begleitung nur mit einem erhöhten Risiko am Freizeitbetrieb teilnehmen kann. Zumindest hat er seine Sorgfaltspflicht nur erfüllt, wenn er die anderen Gäste auf seine Einschränkung hingewiesen hat, zum Beispiel durch das Tragen einer Kennzeichnung, etwa einer gelben Badekappe mit drei schwarzen Punkten.

Beispiel 3

Durch einen Gast mit Seheinschränkung wird einem Dritten oder dem Angebotsbetreiber Schaden zugefügt und der blinde oder sehbehinderte Verursacher kommt dabei ums Leben. Sofern den behinderten Menschen ein Verschulden trifft, treten seine Haftpflichtversicherung oder seine Erben als Schuldner ein. Nur wenn weder eine Haftpflichtversicherung noch ein ausreichendes Erbe vorhanden ist, kommt ein Anspruch des Mitgeschädigten gegenüber dem Betreiber in Betracht. Dafür muss allerdings für diesen eine Pflicht bestanden haben, dem seheingeschränkten Gast den Zutritt zu verweigern. Das dürfte aber nur sehr selten einer einschlägigen Vorschrift zu entnehmen sein. Ebenfalls nur in absoluten Ausnahmefällen denkbar ist die Konstruktion einer Aufsichtspflicht durch den Betreiber und deren zumindest fahrlässige Verletzung.

Wie auch immer die Sachlage ausfällt  –  mögliche Regressansprüche rechtfertigen den Ausschluss behinderter Menschen nicht. Im Gegenteil: Unter Umständen können ausgeschlossene Personen nach § 19 in Verbindung mit § 21 Abs. 2 AGG wegen Diskriminierung sogar einen Entschädigungsanspruch gegenüber dem Angebotsbetreiber geltend machen.


Dieser Artikel erschien in der Zeitschrift “Gegenwart” Ausgabe 7-8/2015 des DBSV (Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband e. V.).

Angaben zum Autor

Dr. Michael Richter
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