von Dr. Michael Richter (rbm)
Ende Februar ist das Patientenrechtegesetz in Kraft getreten. Es soll die Rechte der Patienten gegenüber Ärzten und Krankenkassen stärken und den Umgang mit Fehlern bei Diagnose und Behandlung verbessern. Ein Blick auf das Gesetz lohnt sich - nicht nur für Augenpatienten, sondern für alle Patienten. Die Rechtsberatungsgesellschaft “Rechte behinderter Menschen” stellt die wichtigsten Regelungen vor und hilft bei der Bewertung.
Bei dem Patientenrechtegesetz handelt es sich um ein sogenanntes Artikelgesetz, das Änderungen und Ergänzungen in bestehenden Gesetzen vorsieht. Bisher waren die Rechte der Patienten auf unterschiedliche Gesetze verteilt. Zudem wurden die gesetzlichen Regelungen durch Gerichtsurteile immer weiter ausdifferenziert, was die Lage sehr unübersichtlich gemacht hat. Das neue Patientenrechtegesetz bündelt die Rechte nun im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) und im Fünften Sozialgesetzbuch (SGB V).
Mit den Paragrafen 630a und 630b wird der Behandlungsvertrag im Bürgerlichen Gesetzbuch verankert. Dieser kommt in der Regel automatisch zustande, wenn sich ein Patient behandeln lässt. Im BGB wird die Vertragsbeziehung zwischen Patienten und Ärzten, aber auch zu anderen Heilberufen wie Heilpraktikern, Hebammen, Psycho- oder Physiotherapeuten, auf eine gesetzliche Grundlage gestellt und damit eindeutiger geregelt als bisher.
Die Paragrafen 630c, 630d und 630e BGB verpflichten den Behandelnden, seinen Patienten umfassend und verständlich zu informieren und aufzuklären. Dies reicht von den erforderlichen Untersuchungen über die Diagnose und beabsichtigte Therapie bis zu möglichen Risiken. Damit sich der Patient seine Entscheidung gut überlegen kann, muss rechtzeitig ein persönliches Gespräch erfolgen. Eine schriftliche Aufklärung allein reicht in der Regel nicht aus.
Auch Patienten, die aufgrund ihres Alters oder ihrer geistigen Verfassung nicht in der Lage sind, allein zu entscheiden, werden künftig verstärkt eingebunden. So legt das Gesetz fest, dass ihnen die wesentlichen Umstände der bevorstehenden Behandlung zu erläutern sind.
Eine Informationspflicht besteht auch für die mit der Behandlung verbundenen Kosten. Werden bestimmte Kosten nicht von der Krankenkasse oder anderen Leistungsträgern übernommen, muss der Patient vor Beginn der Behandlung entsprechend informiert werden.
Mit den Vorschriften im BGB haben Patienten eine bessere Handhabe, auf ausführliche Aufklärung zu dringen. Dies schließt unter bestimmten Voraussetzungen auch Behandlungsfehler mit ein. Hochinteressant ist, dass der Behandelnde über die Kosten von geplanten Maßnahmen aufklären muss und dementsprechend “Überraschungsrechnungen” für sogenannte IGeL-Leistungen (individuelle Gesundheitsleistungen) deutlich seltener werden dürften.
Nach den Paragrafen 630f und 630g BGB sind Behandlungsdokumentationen und Patientenakten vollständig und sorgfältig zu führen. Gibt es keine Dokumentation oder ist sie unvollständig, wird im Streitfall zulasten des Behandelnden vermutet, dass die nicht dokumentierte Maßnahme nicht erfolgt ist. Darüber hinaus wird Patienten ein gesetzliches Recht zur Einsichtnahme in ihre Patientenakte eingeräumt, das nur unter strengen Voraussetzungen abgelehnt werden darf.
In der Vergangenheit verwehrten Ärzte immer wieder die Akteneinsicht, obwohl die Gerichte den Patienten in 95 Prozent der Fälle ihr Recht zugesprochen haben. Mit den neuen gesetzlichen Regelungen dürfte die Einsichtnahme in die eigenen Behandlungsunterlagen deutlich erleichtert werden. Damit werden sich auch Behandlungsfehler besser nachweisen lassen.
Bei einfachen Behandlungsfehlern bleibt es gemäß § 630h BGB dabei, dass der Patient den Beweis erbringen muss. Bei groben Behandlungsfehlern aber muss der Behandelnde nachweisen, dass er keinen Schaden verursacht hat. Dies ist bisher lediglich aufgrund von Gerichtsurteilen gängige Praxis. Krankenkassen sollen darüber hinaus Versicherte bei der Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen unterstützen, etwa mit Hilfe von Gutachten (siehe unten).
Auch diese Regelungen sollen mehr Transparenz in das Abhängigkeitsverhältnis von Patient zu Arzt bringen. Die Umkehr der Beweislast bei groben Behandlungsfehlern resultiert aus der Erkenntnis, dass es sich bei einem Behandlungsvertrag zumeist nicht um ein Vertragsverhältnis mit gleichstarken Parteien handelt, sondern dass aufseiten des Behandelnden ein deutlicher Wissensvorsprung besteht. Die Auswirkungen dieser Neuregelungen sind im Streitfall nicht zu unterschätzen, erleichtern sie doch die Durchsetzung von Ansprüchen des Geschädigten enorm.
Auch gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen profitieren die Patienten von dem neuen Gesetz. Gemäß § 13 Absatz 3a SGB V verkürzen sich die Fristen zur Bearbeitung von Leistungsanträgen. Über den Antrag eines Versicherten muss die Krankenkasse innerhalb von drei Wochen, bei Einschaltung des Medizinischen Dienstes innerhalb von fünf Wochen entscheiden. Bei zahnärztlichen Anträgen hat die Krankenkasse sechs Wochen Zeit, ein eventuell notwendiger Gutachter muss innerhalb von vier Wochen Stellung nehmen. Wird dem Patienten kein triftiger Grund für eine Fristüberschreitung mitgeteilt, gilt die Leistung als genehmigt.
Diese Regelung ist in ihrem Wortlaut sehr eindeutig. Sie verkürzt die Wartezeit auf Krankenkassenbescheide deutlich und erleichtert den Versicherten die Durchführung dringend benötigter Behandlungen, die Finanzierung von Arzneimitteln (z. B. bei der Spritzentherapie am Auge) oder sogar die Versorgung mit Hilfsmitteln.
Künftig sind die Kranken- und Pflegekassen verpflichtet, ihre Versicherten bei der Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen aus Behandlungsfehlern zu unterstützen (§ 66 SGB V). Dies kann durch die Beauftragung und Kostenübernahme für medizinische Gutachten geschehen, die für die Beweisführung erforderlich sind. Diese Regelung wird möglicherweise zu mehr Schadensersatzprozessen gegen Behandelnde führen, denn oft sind es die hohen Gutachterkosten, die Patienten davon abhalten, vor Gericht zu ziehen.
Das Patientenrechtegesetz ist sicher nicht der ganz große Wurf. Aber es stärkt den Anspruch der Patienten auf umfassende Information und verpflichtet die gesetzlichen Krankenkassen, ihre Versicherten darin zu unterstützen. Dies dürfte vor allem bei Behandlungsfehlern zum Tragen kommen. Bei Schadensersatzprozessen ist in der Rechtsprechung zwar nicht mit großen Änderungen zu rechnen. Aber man sollte die Wirkung des Gesetzes auch nicht unterschätzen. Schließlich verbessern die offene Patientenakte und die Unterstützungsmöglichkeiten durch die Krankenkassen die Rechtsposition der Patienten deutlich. Gespannt sein darf man nicht zuletzt auf die Umsetzung der Fristenregelung in der Krankenkassenpraxis und die hierzu ergehende Rechtsprechung.
Dieser Artikel erschien in der Zeitschrift “Gegenwart” Ausgabe 01/2014 des DBSV (Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband).
Dr. Michael Richter
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