Wie viel Quadratmeter braucht der Mensch?

von Christiane Möller (rbm)

Ein Knackpunkt bei Hartz IV ist die Ermittlung der angemessenen Unterkunftskosten. Behinderte Menschen machen zum Teil einen erhöhten Wohnraumbedarf geltend. Aber ist dies auch für blinde und sehbehinderte Menschen zu vertreten? Die Rechtsberatungsgesellschaft “Rechte behinderter Menschen” (rbm) stellt die Rechtslage anhand der bisherigen Urteile dar.

Rechtliche Grundlage für die Gewährung von Unterkunftskosten

Gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II (Sozialgesetzbuch Zweites Buch) erhalten Empfänger von Grundsicherungsleistungen, insbesondere Hartz-IV-Empfänger, Leistungen für die Unterkunft in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen, soweit diese angemessen sind. Dabei stellt sich natürlich die Frage: Was ist angemessen? Das Bundessozialgericht beruft sich auf die so genannte Produkttheorie. Als Parameter werden Wohnraumgröße, Wohnungsstandard, die örtlichen Verhältnisse auf dem Wohnungsmarkt und die Erreichbarkeit einer als ausreichend angesehenen Wohnung herangezogen. Die Einzelheiten dieses Verfahrens brauchen an dieser Stelle nicht zu interessieren. Spannend ist vorrangig die Frage, welche Wohnungsgröße von den Behörden akzeptiert werden muss.

Wie groß darf die Wohnung sein?

Die angemessene Größe richtet sich in erster Linie nach den Richtlinien der Länder aufgrund des Wohnraumförderungsgesetzes. Durchschnittlich werden 45 bis 50 Quadratmeter für eine alleinstehende Person als angemessen angesehen, zuzüglich ca. 15 Quadratmeter für jede weitere im Haushalt lebende Person. In der Rechtsprechung und auch allgemein ist anerkannt, dass bei Vorliegen einer Behinderung ein erhöhter Wohnraumbedarf bestehen kann. Unstrittig ist dies vor allem bei Rollstuhlfahrern, die schlicht mehr Platz benötigen, um sich in der Wohnung bewegen zu können.

Wie haben die Gerichte im Falle blinder und sehbehinderter Menschen entschieden?

Das Sozialgericht Berlin hat in seinem Urteil vom 5.12.2006 (Az. S 99 AS 4356/06) einen um 15 Quadratmeter erhöhten Wohnraumbedarf und die damit verbundenen erhöhten Unterkunftskosten eines blinden Menschen für angemessen im Sinne von § 22 SGB II anerkannt. In diesem Einzelfall sah es das Gericht als erwiesen an, dass aufgrund der Blindheit und der behindertengerecht ausgestatteten Wohnung ein Raummehrbedarf bestand. Das Gericht hatte seine Entscheidung seinerzeit ergänzend mit der DIN-Norm 18025 begründet und dazu ausgeführt: “Als Maßstab für die Frage des Bestehens eines solchen spezifischen behinderungsbedingten zusätzlichen Raumbedarfes kann die DIN 18025 Teil 2 herangezogen werden, die Festlegungen hinsichtlich der Planungsgrundlagen für das barrierefreie Wohnen u. a. von Blinden und Sehbehinderten trifft und als so genanntes antizipiertes Sachverständigengutachten aufzufassen ist. Insofern bestimmt die Nr. 6.3 der Norm, dass u. a. für Blinde und Sehbehinderte bei Bedarf eine zusätzliche Wohnfläche vorzusehen ist, wobei sich die angemessene Wohnungsgröße hierdurch im Regelfall um 15 qm vergrößere.” Leider kann man sich auf diese Rechtsprechung nicht mehr uneingeschränkt beziehen, denn die genannte Norm ist inzwischen in die neue DIN 18040 überführt worden, die keine so klare Regelung enthält. Allerdings wird in einigen Landesbauordnungen noch auf die DIN 18025 Bezug genommen, so dass sie nicht völlig belanglos ist.

Viel strenger wurde ein Fall beim Bayerischen Landessozialgericht bewertet (Urteil vom 14.9.2010, Az. L 11 AS 359/10 B ER). Das Gericht führt aus: “Allein der pauschale Verweis auf die Notwendigkeit der Benutzung eines Beamers (der keinesfalls übermäßige Flächen in Anspruch nimmt) und der ebenso allgemein gehaltene Hinweis auf eine bestehende Notwendigkeit, Räume und Verkehrsflächen blindengerecht zu gestalten, genügt hierfür nicht. Aber auch ansonsten begründet die Blindheit eines Hilfebedürftigen zur Auffassung des Senats regelmäßig nicht die Zuerkennung einer erhöhten angemessenen Wohnfläche und damit regelmäßig verbundener erhöhter Kosten der Unterkunft. Es erscheint dem Senat bereits fraglich, welche besonders platzaufwändigen Hilfsmittel ein blinder Mensch im Vergleich zu einem sehenden Menschen benötigt. Jedenfalls soweit der hilfebedürftige Blinde allerdings Blindengeld bzw. Blindenhilfe – wie hier in einem erheblichen Umfang von ca. 600 Euro – bezieht, ist es dem Hilfebedürftigen zur Auffassung des Senats regelmäßig zumutbar, zumindest Teile dieser Sozialleistung für eine eventuell erhöhte Miete aufzuwenden.”

In der Vergangenheit haben die Sozialgerichte in Nordrhein-Westfalen immer wieder darauf hingewiesen, dass bei Blindheit zwar ein Mehrbedarf an Wohnfläche anerkannt werden kann, allerdings nur im Einzelfall, wenn ein konkreter Platzbedarf besteht. Anerkannt wurde zum Beispiel die Haltung eines Blindenführhundes.

Fazit

Blinde oder hochgradig sehbehinderte Hartz-IV-Empfänger können nicht ohne Weiteres geltend machen, ihnen stünde mehr Wohnraum zu als Menschen ohne Behinderung. Im Einzelfall jedoch kann ein Mehrbedarf zuerkannt werden, wenn dieser konkret nachgewiesen wird. Dies dürfte zum Beispiel dann der Fall sein, wenn im Haushalt ein Führhund lebt, der einen Rückzugsbereich benötigt, wenn sehr viele platzeinnehmende Blindenschriftbücher oder ein besonders umfangreicher Hilfsmittelbestand untergebracht werden muss oder wenn neben der Blindheit weitere körperliche Beeinträchtigungen zu einem erhöhten Platzbedarf führen. Demgegenüber reicht es nicht aus, pauschal und ohne konkreten Bezug zur individuellen Situation auf einzuhaltende Ordnungsprinzipien oder den Hilfsmitteleinsatz zu verweisen.


Dieser Artikel erschien in der Zeitschrift “Gegenwart” Ausgabe 7-8/2013 des DBSV (Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband e. V.).

Angaben zur Autorin

Christiane Möller
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