Das Persönliche Budget

von Dr. Michael Richter (rbm)

Geld statt Sachleistung: Auf diese einfache Formel lässt sich das Persönliche Budget bringen. Behinderte Menschen, die Sozialleistungen in Anspruch nehmen, können Käufer, Kunden und Arbeitgeber werden. Ist diese Option auch für blinde und sehbehinderte Menschen interessant? Und wenn ja, in welchen Fällen? Die Rechtsberatungsgesellschaft “Rechte behinderter Menschen” (rbm) klärt auf.

In der Beratungspraxis der rbm gibt es kaum ein Thema, das mit so diffusen Erwartungshaltungen auf der Betroffenenseite und einer solchen Rechtsunsicherheit bei den Leistungsträgern verbunden ist. Daher die wichtigsten Grundsätze des Persönlichen Budgets vorab:

  1. Das Persönliche Budget im Sinne von § 17 SGB IX gewährt keine neuen Leistungen. Das heißt, es gibt nichts, was es von den verschiedenen Leistungsträgern nicht auch ohne Persönliches Budget geben würde.
  2. Das Persönliche Budget wird nur im Rahmen von so genannten “Dauerleistungen” gewährt und ist mindestens für den Zeitraum von sechs Monaten zu vereinbaren.
  3. Das Antragsverfahren ist relativ aufwändig, so dass eine Budgetvereinbarung nur in komplexen Bedarfssituationen oder zur Stärkung der Eigenverantwortlichkeit bei der Inanspruchnahme von Leistungen angestrebt werden sollte.

Abkehr vom Sachleistungsprinzip

Um dem Sinn und Zweck des Persönlichen Budgets auf die Spur zu kommen, sollte man sich dessen Entstehungsgeschichte vergegenwärtigen. Die Einführung dieses Instruments geht im Wesentlichen auf die Forderung meist komplex behinderter Menschen mit einem hohen Unterstützungsbedarf in den verschiedensten Lebenslagen zurück. Im Zuge des Paradigmenwechsels von der “Fürsorge” zur “Selbstbestimmten Teilhabe” wurden insbesondere zwei Problemstellungen ausgemacht: zum einen die Zuständigkeit verschiedener Leistungsträger für oft eng verknüpfte Lebenssituationen, zum anderen das so genannte Sachleistungsprinzip im Sozialrecht.

Als Beispiel sei auf einen behinderten Menschen mit einem 24-Stunden-Pflegebedarf verwiesen, der morgens Hilfe bei der Morgentoilette (Pflegeversicherung), tagsüber Arbeitsassistenz (Integrationsamt) und in der Freizeit Unterstützung bei der Wahrnehmung kultureller Angebote (Sozialamt) benötigt. Bei der Beantragung eines Persönlichen Budgets würde der Betroffene nur mit einem Kostenträger verhandeln müssen, dessen Zuständigkeit sich nach § 14 SGB IX bestimmt. Dieser müsste die anderen Leistungsträger in das Verfahren einbeziehen. Sobald der Bedarf ermittelt ist, würde der Kostenträger mit dem Antragsteller eine Zielvereinbarung abschließen, die den genauen Umfang der notwendigen Hilfe und den zum Einkauf dieser Leistungen notwendigen Geldbetrag festlegt. Dieser Betrag soll in der Regel nicht höher sein als die Kosten für die im Budget vereinigten Einzelleistungen. Als “Bonus” kann allenfalls noch eine Pauschale für die notwendige Hilfe bei der Verwaltung des Budgets hinzukommen. Der Vorteil für den Betroffenen besteht insbesondere darin, dass im Rahmen des Persönlichen Budgets nicht mehr das Sachleistungsprinzip gilt. Dies bedeutet, dass er den Anbieter der jeweiligen Leistung selbst auswählen und im Falle von Assistenz- oder Pflegekräften diese selbst einstellen kann anstatt irgendeinen vom Leistungsträger beauftragten Anbieter “vor die Nase gesetzt” zu bekommen.

Ist das Budget auch für blinde und sehbehinderte Menschen geeignet?

Wenn ein hoher Assistenzbedarf in verschiedenen Lebensbereichen besteht (Grundversorgung, häusliche Unterstützung, Arbeitsassistenz, Hilfe bei der Gestaltung der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, Elternassistenz etc.), kann das Persönliche Budget auch für Menschen mit Seheinschränkung eine interessante Option sein. Ein solcher Bedarf besteht in der Regel aber nur, wenn der Betroffene keine oder noch keine grundlegende Reha-Maßnahme absolviert hat, eine Mehrfachbehinderung wie zum Beispiel Taubblindheit vorliegt oder andere Gründe die Auswirkungen einer Sehbehinderung oder Blindheit verstärken (etwa im Alter). Für blinde und sehbehinderte Menschen, die einen fundierten Reha-Unterricht genossen haben (Mobilitätstraining, Lebenspraktische Fähigkeiten, behinderungsspezifischer EDV- und/oder Punktschriftunterricht etc.), ist ein Persönliches Budget in der Regel nicht sinnvoll. Ihre Bedarfe bestehen entweder nicht dauerhaft oder sie können relativ eindeutig einem Lebensbereich und damit einem Kostenträger zugeordnet werden (z. B. Arbeitsassistenz/Integrationsamt). Und schließlich gibt es auch noch das Blinden- und Sehbehindertengeld, um kleinere oder nur unregelmäßig auftretende Assistenzbedarfe abzudecken.

Mit dem Persönlichen Budget zum Wunsch- und Wahlrecht

Doch wo es eine Regel gibt, gibt es in der Juristerei auch eine Ausnahme. Diese Ausnahme kann dann zum Tragen kommen, wenn ein Kostenträger die selbstbestimmte Teilhabe des Antragstellers nicht ausreichend berücksichtigt. Zwar ist in § 9 Abs. 2 SGB IX ein Wunsch- und Wahlrecht des behinderten Leistungsempfängers normiert, dabei handelt es sich aber um eine Soll-Bestimmung, die somit im Ermessen des Leistungsträgers liegt. Auf die Gewährung einer Leistung im Rahmen des Persönlichen Budgets besteht hingegen ein Rechtsanspruch. Wieder ein Beispiel: Ein gerade erblindeter Mensch beantragt eine Umschulung, die er gerne in der Einrichtung X absolvieren möchte. Der Leistungsträger bewilligt die Maßnahme, allerdings - mit Verweis auf die etwas geringeren Kosten - in der Einrichtung Y. Da mit den Wirtschaftlichkeitserwägungen hierfür ein sachlich nachvollziehbarer Grund vorliegt, greift das Wunsch- und Wahlrecht nicht durch. Es besteht aber die Möglichkeit (auch noch im Widerspruch), die Leistung im Rahmen eines Persönlichen Budgets neu zu beantragen, auch wenn nur ein Leistungsträger im Spiel ist. Da der Kostenträger dem Grunde nach einen Bedarf und damit auch erforderliche Kosten anerkannt hat (Kosten der Maßnahme in Y), kann er eine Gewährung in Form des Persönlichen Budgets nicht verweigern (Rechtsanspruch). Dieses Budget kann der “Umschüler” selbstbestimmt verwenden, um die Maßnahme in X einzukaufen. Allerdings muss er den Preis mit dem Anbieter neu verhandeln oder die Differenz zwischen X und Y selbst bezahlen, zumindest soweit keine Erforderlichkeit für eine besondere Leistung der Maßnahme in X spricht.

In der Praxis kann das Persönliche Budget auch blinden und sehbehinderten Menschen zur gewünschten Maßnahme verhelfen. Dies ist umso wichtiger, als gerade im Bereich der beruflichen Teilhabe die Rehabilitationsträger (Sozialhilfeträger, Arbeitsagenturen, Rentenversicherungen etc.) den Paradigmenwechsel zur “Selbstbestimmten Teilhabe” oft nicht ausreichend ernst nehmen und umsetzen.


Dieser Artikel erschien in der Zeitschrift “Gegenwart” Ausgabe 10/2013 des DBSV (Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband e. V.).

Angaben zum Autor

Dr. Michael Richter
rbm gemeinnützige GmbH
Rechte behinderter Menschen
Biegenstraße 22
35037 Marburg
Tel.: 0 64 21 / 9 48 44 - 90 oder 91
Fax: 0 64 21 / 9 48 44 99
Website: rbm-rechtsberatung
E-Mail: kontakt(at)rbm-rechtsberatung.de

Unsere Sprechzeiten

Marburg:
Montag von 13:00 Uhr bis 17:00 Uhr
Mittwoch von 13:00 Uhr bis 17:00 Uhr
Freitag von 9:00 Uhr bis 14:00 Uhr

Berlin:
Dienstag von 13:00 Uhr bis 17:00 Uhr
Donnerstag von 13:00 Uhr bis 17:00 Uhr

Weitere Veröffentlichungen

Die Mitarbeiter der rbm veröffentlichen regelmäßig Fachartikel. Der Schwerpunkt der Veröffentlichung ist die Versorgung mit Hilfsmitteln. Sie finden unsere Veröffentlichungen unter Veröffentlichungen - Rechte behinderter Menschen (rbm).