Krankenkassen vergreifen sich am Blindengeld

von Christiane Möller (rbm)

Krankenkassenbeiträge erhöhen, indem Blindengeld oder Blindenhilfe als Einkommen angerechnet werden: Mit diesem Trick macht sich die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung derzeit bei freiwilligen Mitgliedern unbeliebt. Ein abschließender Richterspruch zu diesen Fällen steht noch aus, aber die Rechtsberatungsgesellschaft “Rechte behinderter Menschen” (rbm) rät den Betroffenen, sich zur Wehr zu setzen.

Immer häufiger bekommen freiwillige Mitglieder in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung Bescheide über die Neuberechnung ihrer Versicherungsbeiträge. Anlass für das Schreiben: Das monatlich gewährte Landesblindengeld oder die Blindenhilfeleistungen, die für die Beitragsberechnung bislang keine Rolle gespielt hatten, werden nun als Einkommen berücksichtigt. Dadurch erhöht sich nicht nur der monatlich zu leistende Kranken- und Pflegeversicherungsbeitrag, sondern allzu oft werden auch für die Vergangenheit beträchtliche Beträge nachgefordert.

Grundlage der Beitragsberechnung

Wie kann das sein? Ist nicht allgemein bekannt, dass Blindengeld gerade kein Einkommen ist, sondern vielmehr als Nachteilsausgleich dafür bestimmt ist, den durch die Blindheit verursachten Mehraufwand für Hilfsmittel, Assistenz und andere Hilfen abzudecken?

Die rechtliche Grundlage für die Beitragsbemessung freiwillig Kranken- und Pflegeversicherter findet sich in § 240 Sozialgesetzbuch V. Danach wird die Regelungsbefugnis zur Beitragsbemessung für alle gesetzlichen Krankenkassen seit dem 1. Januar 2009 dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) übertragen. Einzelheiten sind den “Einheitlichen Grundsätzen zur Beitragsbemessung freiwilliger Mitglieder und weiterer Mitgliedergruppen sowie zur Zahlung und Fälligkeit der von Mitgliedern selbst zu entrichtenden Beiträge (Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler)” zu entnehmen. Die Regelungen des GKV-Spitzenverbandes umfassen einen Katalog der beitragspflichtigen Einnahmen, zu denen auch die Blindengeld- bzw. Blindenhilfeleistungen zählen.

Damit drängt sich die Frage auf: Darf der GKV-Spitzenverband einfach bestimmen, was Einkommen sind und was nicht? Sicher nicht. Auch er hat die maßgeblichen gesetzlichen und von der Rechtsprechung konkretisierten Grundsätze zu beachten. Gesetzlich ist geregelt, dass die Beitragsbelastung die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwillig versicherten Mitglieds berücksichtigen soll. Hierzu gehören alle Einnahmen und Geldmittel, die zum Lebensunterhalt verbraucht werden oder verbraucht werden könnten.

Status von Blindengeld und Blindenhilfe

Der Begriff der “Einnahmen zum Lebensunterhalt” wird auch von der Rechtsprechung sehr weit ausgelegt. Das Bundessozialgericht hat jedoch klargestellt, dass “Hilfen in besonderen Lebenslagen” gerade nicht dazu gehören. Das ist insofern von Bedeutung, als die Blindenhilfe früher den “Hilfen in besonderen Lebenslagen” zugeordnet war (§ 67 Bundessozialhilfegesetz) und sich nach Einführung des Sozialgesetzbuchs XII am Charakter dieser Leistung nichts geändert hat. Die Blindenhilfe nach § 72 SGB XII dürfte damit nicht als beitragspflichtige Einnahme anzusehen sein. Dasselbe muss auch für das Landesblindengeld gelten, da es demselben Zweck dient und sich von der Blindenhilfe nur dadurch unterscheidet, dass es einkommens- und vermögensunabhängig aufgrund landesgesetzlicher Regelungen geleistet wird.

Nicht unerwähnt bleiben soll, dass das Bundesministerium für Gesundheit der Berücksichtigung von Blindengeldleistungen bei der Beitragsbemessung nicht zustimmt und bereits im Jahr 2009 eine aufsichtsrechtliche Anordnung an den GKV-Spitzenverband erlassen hat. Gegen diese Anordnung hat der GKV-Spitzenverband jedoch Rechtsmittel eingelegt, so dass der Fall nun vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg verhandelt wird.

Fazit: Noch ist die Rechtsfrage nicht abschließend geklärt, aber es spricht einiges dafür, dass die Heranziehung des Blindengeldes und der Blindenhilfeleistungen bei der Bemessung des Kranken- und Pflegekassenbeitrages nicht mit geltendem Recht vereinbar ist.

Was können Betroffene tun?

Sofern Sie einen Beitragsbescheid erhalten, der das Landesblindengeld oder die Blindenhilfeleistungen als beitragsfähige Einnahme berücksichtigt, sollten Sie fristgerecht Widerspruch einreichen und gegebenenfalls klagen. Bis zur abschließenden und rechtskräftigen Entscheidung über diesen Widerspruch oder die Klage müssen Sie die höheren Kranken- und Pflegekassenbeiträge zunächst zahlen. Widerspruch und Klage haben insoweit keine aufschiebende Wirkung. Kommen Sie Ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nach, so droht Ihnen im ungünstigsten Fall der Verlust des Versicherungsschutzes.


Dieser Artikel erschien in der Zeitschrift “Gegenwart” Ausgabe 01/2013 des DBSV (Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband).

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Christiane Möller
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