Pflegebedürftigkeit und Blindheit, Teil 2

von Christiane Möller (rbm)

Blind gleich pflegebedürftig: Diese einfache Formel geht nicht auf. So hieß es in der Mai-Ausgabe der “Gegenwart”. Schließlich gibt es das Blindengeld zum Ausgleich blindheitsbedingter Mehraufwendungen. Eine Pflegestufe wird in der Regel erst dann zuerkannt, wenn weitere gesundheitliche Einschränkungen den Alltag erschweren und Hilfe in erheblichem Umfang erforderlich machen. Doch welche Folgen hat eine Pflegestufe für das Blindengeld? Die Rechtsberatungsgesellschaft “Rechte behinderter Menschen” (rbm) spinnt das Fallbeispiel der vergangenen Ausgabe weiter.

Fallbeispiel: Der Gesundheitszustand von Lieselotte Müller verschlechtert sich

Nachdem Frau Müller mit 80 Jahren fast vollständig erblindet ist, bekommt sie Blindengeld, was ihren Alltag erheblich erleichtert. Nur leider geht es mit ihrer Gesundheit weiter bergab. Sie bekommt einen Schlaganfall und ist nun auch in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt. Ihre Schwiegertochter stellt erneut einen Antrag auf eine Pflegestufe, dem diesmal stattgegeben wird. So kommt der Pflegedienst täglich ins Haus. Doch schon wenige Wochen später teilt die Blindengeldstelle mit, dass das Blindengeld aufgrund der nunmehr bezogenen Pflegeleistungen gekürzt werden muss. Wie kann das sein, fragen sich alle Beteiligten. Die Blindheit hat doch nichts mit dem Schlaganfall zu tun!

Warum werden Pflegeleistungen auf das Blindengeld angerechnet?

Die Landesblindengeldgesetze und § 72 SGB XII (Sozialgesetzbuch) für die ergänzende Blindenhilfe enthalten spezielle Regelungen für die Anrechnung von Leistungen zur häuslichen Pflege. Nach diesen Bestimmungen wird das Blindengeld gekürzt, wenn Pflegebedürftigkeit im Sinne von § 14 SGB XI vorliegt und deshalb Pflegeleistungen in Anspruch genommen werden. Diese Anrechnung wird damit begründet, dass sich der Hilfebedarf wegen Blindheit und der Hilfebedarf wegen Pflegebedürftigkeit überschneiden können. Es wird angenommen, dass mit den Pflegeleistungen der blindheitsbedingte Bedarf zum Teil schon abgedeckt ist.

Ein Beispiel mag dies verdeutlichen: Bei der Ermittlung des Umfangs der Pflegebedürftigkeit wird mitberücksichtigt, dass ein Hilfebedarf beim Einkaufen oder beim Reinigen der Wohnung besteht. Für die Bedarfsdeckung werden daher Pflegeleistungen erbracht. Auch das Blindengeld kann dafür eingesetzt werden, eine Einkaufs- oder Haushaltshilfe zu finanzieren. Da hier für ein und denselben Bedarf also zwei Leistungen gewährt würden, erscheint es grundsätzlich gerechtfertigt, eine der beiden Leistungen entsprechend zu kürzen.

Ungleiche Verhältnisse in verschiedenen Bundesländern

Aufgrund der Tatsache, dass die Höhe des Blindengeldes von Bundesland zu Bundesland stark variiert und noch dazu die Regelungen für die Anrechenbarkeit der Pflegeleistungen ganz unterschiedlich ausgestaltet sind, kann es zu höchst unbefriedigenden Ergebnissen kommen. So erhalten zum Beispiel in Schleswig-Holstein blinde Erwachsene ab Pflegestufe 2 überhaupt kein Blindengeld mehr, weil der zu berücksichtigende Betrag für die Pflegeleistungen das ohnehin schon sehr niedrige Landesblindengeld in Höhe von 200 Euro monatlich schlichtweg übersteigt. Soweit sie sozialhilfebedürftig sind, bleibt den Betroffenen nur der Rückgriff auf die bundeseinheitliche Blindenhilfe gemäß § 72 SGB XII. Anders als in den meisten Landesblindengeldgesetzen ist im SGB XII eine Art Sperrklausel vorgesehen. So wird sichergestellt, dass Inhaber einer Pflegestufe immer einen gewissen Restbetrag zur Deckung allein blindheitsbedingter Mehrbedarfe (z. B. Vorleseassistenz) zur Verfügung haben.

Blindheit schützt vor Strafe nicht!

Zum Schluss noch ein Appell: Sofern Pflegebedürftigkeit besteht und Pflegeleistungen in Anspruch genommen werden, ist dies der zuständigen Blindengeldstelle bzw. dem Sozialhilfeträger im Falle der Inanspruchnahme ergänzender Blindenhilfe mitzuteilen. Das ist eine gesetzliche Verpflichtung, die in allen Landesblindengeldgesetzen ausdrücklich verankert ist. Zudem werden alle Blindengeldempfänger im Bewilligungsbescheid und jährlich im Rahmen einer standardisierten Abfrage auf diesen Umstand hingewiesen. Kommt man seiner Mitteilungspflicht nicht nach, so muss man mindestens die zu viel empfangenen Leistungen zurückerstatten. Da hilft es auch nicht, wenn sich der eine oder andere damit herauszureden versucht, er habe ja nicht gesehen, was er der Blindengeldstelle unterschrieben hat. Auch Blindheit schützt vor Strafe nicht! Und seien wir doch mal ehrlich: Wir fordern die gleichberechtigte und vor allem selbstbestimmte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ein. Dazu gehört aber auch, sich wie jeder andere Bürger angemessen über seine Rechte und Pflichten zu informieren.


Dieser Artikel erschien in der Zeitschrift “Gegenwart” Ausgabe 06/2012 des DBSV (Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband).

Angaben zur Autorin

Christiane Möller
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