Damit Krankenkassen hören lernen

von Markus Brinker (rbm)

Bei hochgradig sehbehinderten oder blinden Menschen ist der Hörsinn zum Ausgleich des Sehsinns von besonderer Bedeutung. Umso gravierender ist es, wenn das Hörvermögen nachlässt. Dann sollte auf keinen Fall am Hörgerät gespart werden. Die Krankenkassen jedoch übernehmen in der Regel nur die Versorgung im Rahmen der Festbeträge. Wie sich gegen diese Praxis argumentieren lässt, erklärt die Rechtsberatungsgesellschaft “Rechte behinderter Menschen” (rbm).

Immer wieder erreichen die Mitarbeiter der rbm Anfragen von Personen, die neben der Einschränkung des Sehvermögens auch mit einem nachlassenden Gehör leben müssen und besonders hochwertige Hörgeräte benötigen. Viele dieser Personen haben Hoffnung geschöpft, als das Bundessozialgericht (BSG) am 17.12.2009 entschieden hat, dass Hörgeschädigte einen Anspruch auf die Versorgung mit hochwertigen Hörgeräten haben. An der Entscheidungspraxis der gesetzlichen Krankenkassen hat sich jedoch nach Veröffentlichung dieses Urteils nichts geändert. Auch weiterhin wird hochgradig sehbehinderten oder blinden Menschen die Versorgung mit höherwertigen Hörgeräten versagt. Zur Begründung wird angeführt, dass das Urteil den Personenkreis der Hörgeschädigten betrifft, die nahezu taub sind. Tatsächlich handelt es sich in dem Rechtsstreit um eine nahezu taube Person. Dennoch beantwortet das BSG die eine oder andere grundsätzliche Frage, die auch für die Versorgung blinder Menschen mit Hörgeräten von großer Bedeutung ist.

Hochgradig sehbehinderte und blinde Menschen sind zur Orientierung innerhalb eines Raumes und ganz besonders bei der Teilnahme am Straßenverkehr auf ein ausreichendes Klangbild angewiesen. Bei der Versorgung mit Hörgeräten ist deshalb darauf zu achten, dass nicht nur ein ausreichendes Sprachverständnis erzielt werden kann, wie es die Krankenkassen immer noch für ausreichend erachten. Vielmehr kommt es auf das räumliche Hören an. Dies ist vor allem im Straßenverkehr, etwa bei der Überquerung einer Straße, wichtig, um erkennen zu können, aus welcher Richtung sich ein Pkw nähert.

Dass bei der Versorgung mit Hörgeräten nicht nur auf das Sprachverständnis abgestellt werden darf, hat das BSG in seinem Urteil vom 17.12.2009 (B 3 KR 20/08 R) unzweifelhaft festgestellt und führt in diesem Zusammenhang aus: “Das Maß der notwendigen Versorgung wird deshalb verkannt, wenn die Krankenkassen ihren Versicherten Hörgeräte –  wie es wohl das LSG meint  –  ungeachtet hörgerätetechnischer Verbesserungen nur zur Verständigung ‘beim Einzelgespräch unter direkter Ansprache’ zur Verfügung stellen müssten. Teil des von den Krankenkassen nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V geschuldeten  –  möglichst vollständigen  –  Behinderungsausgleichs ist es vielmehr, hörbehinderten Menschen im Rahmen des Möglichen auch das Hören und Verstehen in größeren Räumen und bei störenden Umgebungsgeräuschen zu eröffnen und ihnen die dazu nach dem Stand der Hörgerätetechnik (§ 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V) jeweils erforderlichen Geräte zur Verfügung zu stellen. Das schließt  –  wie die Beklagte zu Recht nicht in Zweifel gezogen hat  –  je nach Notwendigkeit auch die Versorgung mit digitalen Hörgeräten ein.”

Anzumerken ist, dass hiermit nicht ein Anspruch auf hochwertige digitale Hörgeräte geschaffen wird. Vielmehr bleibt die Verpflichtung bestehen, beim Hörgeräteakustiker mehrere Hörsysteme auszutesten. Darunter müssen auch Geräte sein, die zu den Festbetragssätzen erlangt werden können. Erst wenn sichergestellt und durch den Hörgeräteakustiker dokumentiert ist, dass eine ausreichende Versorgung zum Sprachverständnis auch unter Einfluss von Störgeräuschen mit Festbetragsgeräten nicht möglich ist, besteht ein Anspruch auf höherwertige Hörgeräte. Auch dies hat das BSG im oben genannten Urteil eindeutig klargestellt:

“Ausgeschlossen sind danach Ansprüche auf teure Hilfsmittel, wenn eine kostengünstigere Versorgung für den angestrebten Nachteilsausgleich funktionell ebenfalls geeignet ist (vgl. BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 26 S 153; stRspr); Mehrkosten sind andernfalls selbst zu tragen (§ 33 Abs. 1 Satz 5 SGB V). Eingeschlossen in den Versorgungsauftrag der GKV ist eine kostenaufwendige Versorgung dagegen dann, wenn durch sie eine Verbesserung bedingt ist, die einen wesentlichen Gebrauchsvorteil gegenüber einer kostengünstigeren Alternative bietet. [...] Keine Leistungspflicht besteht dagegen für solche Innovationen, die nicht die Funktionalität betreffen, sondern in erster Linie die Bequemlichkeit und den Komfort bei der Nutzung des Hilfsmittels.”

Mit den Hörsystemen, die zu den Festbeträgen erhältlich sind, ist oftmals nur ein ausreichendes Sprachverständnis zu erzielen. Gerade für blinde und hochgradig sehbehinderte Menschen liegt der Gebrauchsvorteil eines höherwertigen Hörgerätes darin, dass es auch das für die Orientierung erforderliche räumliche Hören unterstützt. Selbst wenn das Urteil des BSG nicht ohne Weiteres auf diesen Personenkreis übertragen werden kann, so ist doch zu hoffen, dass sich die gesetzlichen Krankenkassen überzeugen lassen, dass ihre Leistungspflicht nicht nur die Versorgung mit Hörgeräten im Rahmen der Festbeträge umfasst.


Dieser Artikel erschien in der Zeitschrift “Gegenwart” Ausgabe 10/2010 des DBSV (Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband).

Angaben zum Autor

Markus Brinker
Rechte behinderter Menschen gGmbH
(in den Räumlichkeiten des DBSV)
Rungestraße 19
10179 Berlin
Tel.: 0 30 /28 53 87 - 1 60
Website: rbm-rechtsberatung
E-Mail: kontakt(at)rbm-rechtsberatung.de

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