Kostenträger: Hin- und herschieben der ZuständigkeitDas Schwarze-Peter-Prinzip

von Christiane Möller (rbm)

Sozialrecht ist kompliziert. Und zwar so kompliziert, dass man als Laie oft nicht weiß, welcher Rehabilitationsträger welche Leistungen zahlt. Im schlimmsten Fall führt das dazu, dass der Antragsteller von Behörde zu Behörde geschickt wird und am Ende seinen Anspruch nicht umsetzen kann. Die Rechtsberatungsgesellschaft “Rechte behinderter Menschen” bringt Licht ins Dunkel und klärt darüber auf, dass das Recht die Betroffenen durchaus schützt, diese Bestimmungen aber noch längst nicht in der Praxis angekommen sind.

Haben Sie das auch schon einmal erlebt? Sie stellen bei Ihrer Krankenkasse einen Antrag auf ein Hilfsmittel (zum Beispiel einen DAISY-Player) und schon kurze Zeit später kommt Post von der Kasse. Oh, das ging ja schnell, denken Sie sich. Doch der Brief hat einen anderen Inhalt als erwartet. Da steht: “Für Ihren o.g. Antrag sind wir nicht zuständig. Daher haben wir Ihr Anliegen an den zuständigen Sozialhilfeträger weitergeleitet.” Sozialamt? Ich bin doch kein Sozialhilfefall, protestieren Sie. Und das Entsetzen wird noch größer, als kurze Zeit später ein Schreiben Ihres Sozialamtes kommt, in dem Sie aufgefordert werden, Ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse offen zu legen.

Was ist hier passiert und was ist nun zu tun? Kurz gesagt geht es um die Frage, wer wann über Ihre Anträge auf behinderungsbedingt notwendige Hilfen entscheiden muss. Und wie das eingangs geschilderte Beispiel zeigt, ist die Frage der Zuständigkeit nicht nur für Juristen interessant, sondern vor allem für Sie selbst.

Ausgangslage

Im bestehenden Sozialleistungssystem gibt es verschiedene Institutionen, die benötigte Hilfen für behinderte Menschen erbringen. Dazu gehören die Krankenkassen, die Agenturen für Arbeit, die Rentenversicherungsträger, die Sozialhilfeträger. Diese sogenannten Rehabilitationsträger greifen zur Bearbeitung der eingehenden Anträge vorrangig auf die ihnen zugeordneten Spezialgesetze zurück, in denen festgelegt ist, welche Leistungen von wem zu erbringen sind. Das Sozialgesetzbuch (SGB) V zum Beispiel enthält das Recht für die gesetzlichen Krankenkassen und das SGB XII das Recht für den Sozialhilfeträger. Übergeordnet gelten für Anträge auf behinderungsspezifische Hilfen die besonderen Vorschriften des SGB IX, die bei allen derartigen Leistungsentscheidungen mit zu berücksichtigen sind.

Schnell wird klar: Der Ottonormalverbraucher hat kaum eine Chance, den Weg durch dieses Behördendickicht selbstständig zu finden und unter den vielen möglichen Rehabilitationsträgern den richtigen für die konkret benötigte Hilfe auszuwählen. Auch dem Gesetzgeber war diese Misere bewusst. Deshalb wurde in § 14 SGB IX eine ganz klare Zuständigkeitsregelung verankert, um behinderte Menschen davor zu schützen, dass sie von Behörde zu Behörde laufen, um dann irgendwann feststellen zu müssen, dass sich keiner ihrer Sache annehmen will.

Die Zuständigkeit gemäß § 14 SGB IX

Vereinfacht ausgedrückt besagt § 14 SGB IX Folgendes: Stellt ein behinderter Mensch einen Antrag auf Rehabilitationsleistungen (zum Beispiel auf Kostenübernahme für ein Hilfsmittel oder eine LPF-Schulung), dann prüft der Rehabilitationsträger, bei dem der Antrag eingegangen ist, ob er für diese Leistung zuständig ist. Dafür hat er in der Regel zwei Wochen Zeit. Kommt er zu einem positiven Ergebnis, entscheidet er über die Leistung. Stellt er später fest, dass seine Einschätzung falsch war, so bleibt er trotzdem verbindlicher Ansprechpartner. Ist der erstangegangene Träger hingegen der Meinung, dass er nicht zuständig ist, dann leitet er den Antrag innerhalb von zwei Wochen an den Träger weiter, den er für zuständig hält. Der zweite Träger wiederum muss nun zwingend über den Antrag entscheiden. Er darf den Antrag weder zurückgeben, noch weiterleiten oder gar an den Betroffenen zurückschicken. Auch der betroffene Antragsteller kann nichts gegen die Weiterleitung unternehmen, mag sie auch zu Unrecht erfolgt sein. Aus Sicht der Rehabilitationsträger gilt also das Prinzip vom “Schwarzen Peter”. Wer ihn einmal hat, wird ihn so schnell nicht wieder los.

Diese Zuständigkeitszuweisung bezieht sich aber nur auf den Ansprechpartner, nicht auf die gesetzliche Grundlage, aus der der jeweilige Anspruch hergeleitet wird. Deshalb soll sich der formal zuständig gewordene Ansprechpartner nach Erbringung der benötigten Hilfe die Aufwendungen vom eigentlich zuständigen Träger erstatten lassen. Auch das Bundessozialgericht hat sich ausgiebig mit § 14 SGB IX befasst und die soeben dargelegten Grundsätze in mehreren Entscheidungen konsequent angewandt (vgl. BSG vom 20.11.2008  –  Az.: B 3 KR 16/08 R oder vom 26.10.2004  –  Az.: B 7 AL 16/04 R m.w.N.).

Was bedeutet das für den Beispielfall?

Die Krankenkasse hat den Antrag auf Kostenübernahme eines DAISY-Players gemäß § 14 SGB IX an den Sozialhilfeträger weitergeleitet. Das Sozialamt muss nun nicht nur nach den Vorschriften des SGB XII entscheiden, sondern es muss auch prüfen, ob die Kostenübernahme nicht eigentlich doch durch die Krankenkasse hätte erfolgen müssen. Das ist hier in der Tat der Fall, wie jüngst das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz in seinem Urteil vom 18.02.2010  –  L 5 KR 146/09 bestätigt hat. Weil es sich um eine Krankenkassenleistung handelt, ist vom Sozialhilfeträger nach den Vorschriften des SGB V zu entscheiden. Hierfür benötigt das Sozialamt jedoch keine Kenntnis von der finanziellen Situation des Antragstellers.

Soweit die Theorie. Was passiert aber in der Praxis? In der Praxis ist die Zuständigkeitszuweisung noch längst nicht angekommen. Die Erfahrungen aus der Rechtsberatung zeigen, dass die Behörden mit der Situation häufig überfordert sind. Ganz automatisch fordern viele Sozialämter die Betroffenen auf, ihre finanziellen Verhältnisse offen zu legen, obwohl das längst nicht in jedem Fall erforderlich ist. Das Ziel des Gesetzgebers, dass Anträge schneller bearbeitet werden und die Betroffenen die benötigten Hilfen unbürokratischer erhalten, ist jedenfalls noch lange nicht erreicht. Im Gegenteil: Viele Menschen werden abgeschreckt und der eingangs geschilderte Fall gehört zu den Klassikern bei der Rechtsberatung.

Was kann man als Betroffener tun?

Sicherlich darf man erwarten, dass die Weiterleitung eines Antrags in der Regel korrekt erfolgt. Immer wieder kommt es aber vor, dass man sich plötzlich einem Träger gegenübersieht, der ganz offensichtlich der Falsche ist. Beispiele sind DAISY-Player oder Einkaufsfüchse, die von der Krankenkasse zum Sozialamt verschoben werden. In diesen Fällen hilft es nur, an den Sozialhilfeträger heranzutreten und  –  gegebenenfalls unter Vorlage dieses Artikels  –  Aufklärungsarbeit zu leisten.


Dieser Artikel erschien in der Zeitschrift “Gegenwart” Ausgabe 07-08/2010 des DBSV (Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband).

Angaben zum Autor

Christiane Möller
Rechte behinderter Menschen gGmbH
Frauenbergstr. 8
35039 Marburg
Tel.: 0 64 21 /9 48 44 - 90 oder 91
Fax: 0 64 21 /9 48 44 99
Website: rbm-rechtsberatung
E-Mail: kontakt(at)rbm-rechtsberatung.de

Weitere Veröffentlichungen

Die Mitarbeiter der rbm veröffentlichen regelmäßig Fachartikel. Der Schwerpunkt der Veröffentlichung ist die Versorgung mit Hilfsmitteln. Sie finden unsere Veröffentlichungen unter Veröffentlichungen - Rechte behinderter Menschen (rbm).