Schule mal ganz praktischLPF-Training für Schüler muss übernommen werden, wenn die Schule es nicht anbietet.

von Christiane Möller (rbm)

Jeder gewonnene Prozess zählt, ganz besonders beim Thema LPF. Nun ist klar: Das Sozialamt muss  –  sofern die Schule diese Leistung nicht erbringt  –  schulpflichtigen Kindern und Jugendlichen das LPF-Training zahlen. Und das unabhängig von der Einkommens- und Vermögenssituation der Eltern. Die Rechtsberatungsgesellschaft “Rechte behinderter Menschen” informiert.

Sich allein anziehen, Schleifen binden, mit Messer und Gabel essen, ein Brötchen schmieren, Ordnungssysteme entwickeln ... Für sehende Kinder ist das spätestens im schulpflichtigen Alter kein Problem mehr. Die Entwicklung dieser Selbstständigkeit wird beinahe als Selbstverständlichkeit hingenommen, weil man den dahinter stehenden Lernprozess, der zu einem großen Anteil durch Beobachtung und Nachahmung geschieht, einfach übersieht. Für blinde und hochgradig sehbehinderte Kinder ist das Erlernen dieser ganz grundsätzlichen Fähigkeiten gar nicht selbstverständlich. Eine kreative elterliche Erziehung, die Arbeit der Frühförderer und engagierter Lehrer können den Ausfall des visuell geprägten Lernens häufig ausgleichen. Doch oft brauchen die Betroffenen auch die Unterstützung eines Fachmanns  –  hier die des Rehabilitationslehrers für die Vermittlung lebenspraktischer Fähigkeiten (LPF).

Man sollte meinen, dass die dadurch entstehenden Kosten ganz selbstverständlich übernommen werden, doch so einfach ist es leider nicht. Zuständiger Kostenträger ist nämlich das Sozialamt und dort werden die Mittel bekanntlich außerordentlich zurückhaltend verteilt. Für die Eltern betroffener Kinder folgten in der Vergangenheit häufig lange und zermürbende Rechtsstreitigkeiten, in deren Verlauf sie entweder zu hören bekamen, dass sie mit der Erziehung ihrer Kinder wohl überfordert und damit “schlechte Eltern” seien oder sie hatten ihre gesamte Einkommens- und Vermögenssituation offen zu legen, weil man die LPF-Schulung als Hilfe zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft im Sinne von § 54 SGB XII in Verbindung mit § 55 SGB IX einstufte. Ohne Großverdiener zu sein, sollten Eltern dann aufgrund der sozialhilferechtlichen Bedürftigkeitsprüfung die LPF-Schulung für ihr Kind aus eigener Tasche zahlen. Kein Pappenstiel, denn schnell kommen da mehrere Tausend Euro zusammen.

Doch jetzt landeten die ersten Rechtsstreitigkeiten vor den Sozialgerichten und deren Urteile sind ein echter Erfolg: Das Sozialgericht Düsseldorf stellt in seiner Entscheidung vom 12. September 2008, Az.: S 22 (29) SO 7/07, klar, dass eine Schulung in lebenspraktischen Fähigkeiten für schulpflichtige Kinder und Jugendliche als Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung im Sinne von § 54 Abs.1 Nr.1 in Verbindung mit § 92 Abs.2 Nr.2 SGB XII unabhängig vom Einkommen und Vermögen der Eltern zu erbringen ist, sofern ein schulbezogener Hilfebedarf besteht. Ausreichend dabei ist, dass der Schulbesuch durch die Förderung in LPF erleichtert wird. Dies konkretisiert das Gericht wie folgt: “So ist insbesondere für den Schulbesuch die Entwicklung der Handschrift, die Kleiderpflege aber auch das selbstständige Essen unerlässliche Voraussetzung. Ein Kind muss, gerade wenn es den schützenden familiären Bereich verlässt, in der Lage sein, sich in gewisser Weise selbstständig einzurichten und den Schulalltag zu bewältigen. [...] Dass die genannten Fertigkeiten daneben auch die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft erleichtern, ist nicht von Bedeutung, da sie jedenfalls auch die angemessene Schulbildung erleichtern.”

Jedoch hatte der zitierte Fall den bitteren Beigeschmack, dass der Kläger eine Blindenschule besucht  –  eine Einrichtung also, die allein aufgrund ihres speziellen Bildungsauftrages ganz selbstverständlich den Förderbedarf hätte decken müssen. Denn lebenspraktische Fähigkeiten gehören nach den Empfehlungen der Kultusministerkonferenz ausdrücklich zum sonderpädagogischen Förderbedarf blinder und sehbehinderter Schüler. Qualifiziertes Personal in ausreichender Zahl steht einigen Sehbehinderten- und Blindenschulen aber nicht zur Verfügung und in der integrativen Betreuung sieht es vielfach nicht anders aus. Nun könnte man meinen  –  wie auch der hier beklagte Sozialhilfeträger  –  dass man doch die Schulen oder den Schulträger in die Pflicht nehmen müsse. So ging das Verfahren in die zweite Runde vor das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, das sich beim Verhandlungstermin deutlich im Sinne der Betroffenen äußerte: “Der Vorsitzende weist darauf hin, dass die vorliegende Berufung aussichtslos erscheint, weil der Senat die rechtliche Beurteilung durch das Sozialgericht in dem angefochtenen Urteil teilt. Ergänzend ist noch anzumerken, dass das Argument, der Kläger möge Ansprüche gegenüber dem Schulträger auf eine verbesserte Ausstattung geltend machen, nicht überzeugend ist. Entscheidend ist vorliegend die tatsächliche Situation, dass die Schule die hier streitigen Maßnahmen nicht durchführt. Insoweit kann der Kläger nicht auf eine präsente Bedarfsdeckung verwiesen werden.” Daraufhin nahm der beklagte Sozialhilfeträger die Berufung zurück und der über zwei Jahre währende Rechtsstreit war beendet. Nicht nur für den blinden Kläger ein Sieg, denn die Aussage des Landessozialgerichts bewog in den letzten Wochen auch andere Sozialgerichte, gleichlautend zu entscheiden. Dies brachte wiederum Sozialhilfeträger dazu, die Kosten für die erforderlichen Fördermaßnahmen im Bereich LPF ohne weitere Einkommens- und Vermögenseinbeziehung zu zahlen.


Dieser Artikel erschien in der Zeitschrift “Gegenwart” Ausgabe 11/2009 des DBSV (Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband).

Angaben zum Autor

Christiane Möller
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