Einkaufsfuchs auf Rezept

von Markus Brinker (rbm)

Die Rechtsberatungsgesellschaft “Rechte behinderter Menschen” (rbm) erfährt zurzeit einen regelrechten Ansturm von streitigen Verfahren mit den Krankenkassen, wenn es um die Versorgung mit dem Produkterkennungsgerät “Einkaufsfuchs” geht. Da hat das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen gerade zur richtigen Zeit mit zweitinstanzlichem Urteil entschieden, dass die Krankenkassen die Kosten übernehmen müssen.

Beim Einkaufsfuchs handelt es sich um ein für blinde und hochgradig sehbehinderte Menschen entwickeltes Hilfsmittel mit digitaler Sprachausgabe zum Einkaufen und zur häuslichen Verwaltung. Das Gerät erkennt die Produkte anhand des Strichcodes, der auf den Verpackungen zu finden ist. Mehr als zwei Millionen Artikel  –  von Lebensmitteln über Gebrauchsgüter im Haushalt bis zu Musik-CDs  –  sind in der Datenbank gespeichert. Durch Austausch der Speicherkarte ist eine Erweiterung der Daten jederzeit möglich. Außerdem können neue, noch nicht bekannte Artikel selbst eingegeben werden. Zu diesem Zweck ist ein Mikrofon in das Gerät integriert. Die Artikel, zum Beispiel Ordner mit wichtigen Dokumenten, kann der Nutzer dann mit selbstklebenden Strichcode-Etiketten kennzeichnen, die im Lieferumfang enthalten sind.

In der Vergangenheit haben die Krankenkassen verschiedenste Argumente angeführt, um die Versorgung mit dem Produkterkennungsgerät abzulehnen. Teilweise berufen sie sich darauf, dass der gewünschte Warenbereich im Supermarkt nicht ohne Assistenz erreicht werden könne, sodass ein eigenständiges Auffinden der Waren mit dem Einkaufsfuchs nicht möglich sei. Diesem Argument ist jedoch entgegenzuhalten, dass sehbehinderte und blinde Menschen in der Regel Supermärkte aufsuchen, die sich in der gewohnten Umgebung ihrer Wohnung befinden, sodass sie sich dort gut zurechtfinden. Das Problem fängt erst dann an, wenn man vor dem Regal oder der Truhe steht und nicht weiß, welchen Artikel man in der Hand hält, da viele Produkte anhand der Verpackung nicht zu unterscheiden sind. So haben Konservendosen oftmals die gleiche Form und Größe und auch die Geschmacksrichtungen beim Joghurt lassen sich nicht erkennen.

Die Krankenkassen vertreten häufig die Auffassung, dass die Versorgung mit einem Einkaufsfuchs nicht “erforderlich” sei. Hierzu führt das Sozialgericht Trier (Urteil vom 20.01.2009, Az.: S 3 KR 101/07) aus: “Ein Hilfsmittel ist nach der Rechtsprechung in vorgenanntem Sinne ‘erforderlich’, wenn sein Einsatz zur Lebensbewältigung im Rahmen der allgemeinen Grundbedürfnisse benötigt wird. [...] Maßstab ist stets der gesunde Mensch, zu dessen Grundbedürfnissen der kranke und behinderte Mensch durch die medizinische Rehabilitation und mit Hilfe des von der Krankenkasse gelieferten Hilfsmittels wieder aufschließen soll. Danach zählt zu den elementaren Grundbedürfnissen auch die Möglichkeit, die Wohnung zu verlassen und die Stellen zu erreichen, an denen Alltagsgeschäfte zu erledigen sind. Zu diesen Alltagsgeschäften gehört das Einkaufen von Lebensmitteln und Gegenständen des täglichen Bedarfs (Urteil, BSG vom 16.09.1999  –  B 3 KR 8/98 R). Der Einkaufsfuchs dient dem Einkaufen von Lebensmitteln und Gegenständen des täglichen Bedarfs, was nach dem Verständnis des Bundessozialgerichts, dem sich das erkennende Gericht in vollem Umfang anschließt, zu den allgemeinen Grundbedürfnissen zählt.”

Ein weiteres beliebtes Argument der Krankenkassen gegen die Versorgung mit dem Einkaufsfuchs ist das sogenannte Wirtschaftlichkeitsgebot. Gemeint ist damit, dass die Kosten in keiner Relation zum Nutzen des Gerätes stehen. Zur Wirtschaftlichkeit erklärt nun das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen in seinem Urteil vom 11.11.2009 (Az.: L 4 KR 17/08): “Hilfsmittel, die wie der Einkaufsfuchs nicht unmittelbar an der Behinderung ansetzen, sondern den durch die Krankheit verursachten Funktionsausfall anderweitig ausgleichen oder mildern, sollen nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nur dann in die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung fallen, wenn sie die Wahrnehmung von Grundbedürfnissen ermöglichen (vgl. BSG in SozR 3-2500, § 33, Nr. 44). Diese Voraussetzung trifft auf den Einkaufsfuchs zu. Denn er ermöglicht es der Klägerin, im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung das Einkaufen bzw. das Orientieren im eigenen Haushalt selbstständig auszuführen. Dabei handelt es sich um ein allgemeines Grundbedürfnis.”

Der Einkaufsfuchs wird nicht nur, wie aus seinem Namen zu schließen wäre, zum Einkaufen benutzt. Auch im häuslichen Bereich ergeben sich zahlreiche Einsatzmöglichkeiten, wenn sich der Nutzer einen Überblick über seine Lebensmittelvorräte verschaffen möchte oder, wie beschrieben, nach wichtigen Dokumenten sucht. Das Sozialgericht Detmold erkennt weiterhin an, dass ein Blinder oder Sehbehinderter zur Befriedigung seines Informationsbedürfnisses mit Hilfe des Einkaufsfuchses Bücher oder CDs identifizieren kann, um für den Kauf eine Vorauswahl zu treffen (Urteil vom 03.12.2008  –  S 5 KR 207/07).

Abschließend sei noch darauf hingewiesen, dass sich die Krankenkassen auch nicht mit dem Argument aus der Verantwortung ziehen können, dass sehbehinderte und blinde Menschen auf die Unterstützung von Sehenden angewiesen seien. Denn die Betroffenen können nicht auf die Hilfe durch Dritte verwiesen werden, wenn der technische Fortschritt sie zumindest teilweise unabhängig macht.


Dieser Artikel erschien in der Zeitschrift “Gegenwart” Ausgabe 05/2010 des DBSV (Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband).

Angaben zum Autor

Markus Brinker
Rechte behinderter Menschen gGmbH
(in den Räumlichkeiten des DBSV)
Rungestraße 19
10179 Berlin
Tel.: 0 30 /28 53 87-0
Website: rbm-rechtsberatung
E-Mail: kontakt(at)rbm-rechtsberatung.de

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